Predigt 1. Fastensonntag, 9. März 2025

Die Bilder gingen um die Welt. Wir alle haben sie vor Augen. Die Bilder der Szene, die sich vor acht/neun Tagen im Weißen Haus in Washington abspielte. Das war eine historisch beispiellose Demütigung eines Staatsmanns, eines vom dreijährigen Angriffskrieg Russlands gezeichneten Verbündeten im Oval Office: Ein vor Wut enthemmter US-Präsident mit seinem Vize-Präsidenten führt vor den Augen der Welt den ukrainischen Präsidenten vor.

In diesem Geschehen erkenne ich eine Verbindung zum heutigen Evangelium. Das spricht von Versuchungen, die uns genau da kitzeln, wo oft der wunde Punkt ist: bei dem Wunsch nach Genuss, bei dem Wunsch nach Macht, bei dem Wunsch nach Anerkennung und Geborgenheit.Wer möchte das nicht: ein gutes Leben, Brot statt Steine, ein immer gedeckter Tisch. Wer möchte das nicht: oben sein, stark und überlegen, alle Reiche der Welt zu meinen Füßen, Einfluss und Macht. Wer möchte das nicht: Bestätigung und Beifall, auf Händen getragen werden, sich fallenlasen können in eine Beziehung, Geborgenheit erfahren. Das alles ist nicht schlecht. Und wir alle kennen diese Wünsche. Doch leider funktioniert das Leben anders: Genau das, wovon wir uns höchste Lebensqualität versprechen, kann zu einem gefährlichen Sog werden und in das Gegenteil umkippen, wenn wir das Maß verlieren. Damit unser Leben gelingt, darum steht diese dreifache Versuchungsgeschichte in der Bibel. Diese Geschichte will aber eines sicher nicht: Sie will unsere persönliche Freiheit weder einschränken noch rauben. Ja, nach persönlichem Glück zu streben, ist ein Freiheitsrecht.

Allerdings kann Individualismus, zum alleinigen Prinzip erhoben, umschlagen in rücksichtslosen Egoismus. Dann geht es nicht mehr darum, wie der Einzelne sich bestmöglich entwickelt – und damit als Teil einer Gemeinschaft auch andere voranbringt. Sondern dann wird aus dem Ich ein Ego, das nur auf den eigenen Vorteil setzt, immer mehr haben will, egal um welchen Preis. Der Egoist hat kein Verständnis für die Einsicht, das Gemeinschaften von Vielen eine Gesellschaft erst stark macht. Ich spreche von Solidarität. Dafür braucht es das Bewusstsein, dass es mir nicht dann am besten geht, wenn ich möglichst viel mein Eigen nenne, sondern wenn ich mir die Einsicht erhalte, dass ich auf andere angewiesen bin, dass ich die Unterstützung und das Getragen werden von anderen Menschen brauche.Das „Streben nach Glück“ steht schon in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und es ist ein starker Motor für die amerikanische Gesellschaft. Doch nun haben die Menschen dort einen Präsidenten gewählt, der Werte zerstört, die dem Wohle aller dienen. Glück soll es nur noch für einen Teil der US-Bevölkerung geben, und der soll dafür alles tun dürfen. Er darf, ja er muss rücksichtslos handeln. Doch eines wird dabei übersehen: Egoismus macht einsam, es bringt die Gemeinschaft nicht voran und für den Fall einer Notlage steht der Egoist allein da. Es ist eine Versuchung, die schon die Bibel beschreibt, die heute aber anders formuliert, vielleicht so klingt: Lästiges Verantwortungsbewusstsein wird abgestritten, nur noch das eigene Fortkommen wird verfolgt. Es gilt das Recht des Stärkeren.* Die Schwachen bleiben auf der Strecke.

In der Geschichte von der Versuchung bietet der Teufel Jesus die totale Macht an. Er zeigt ihm alle Reiche dieser Erde und verspricht ihm die Herrschaft über das alles. Bei den ersten beiden Versuchungen zitiert der Teufel die Thora und die Psalmen: Steine werden zu Brot, Engel werden dich auf Händen tragen. Und Jesus kontert – Schrift gegen Schrift, wie ein Streit zwischen Rabbinern. Beim dritten Überzeugungsversuch lässt der Teufel die Maske fallen. Er zeigt, wer er ist. „Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören“, sagt er. Die totale Macht gibt es nur im Pakt mit dem Teufel. Jesus weiß um die Schein­hei­lig­keit des Teu­fels. Er weiß um den Zusam­men­hang von kur­zem, nur schein­ba­ren Glück und lan­gem Scha­den beim Nach­ge­ben der Ver­su­chung. Und er weiß, dass nur Gott ihm wirk­li­ches, blei­ben­des Glück schen­ken kann. Die drei Ver­su­chun­gen Jesu im heutigen Evangelium kön­nen auch unse­re Ver­su­chun­gen sein: Wo gibt es Din­ge, nach denen mich so sehr hun­gert, die ich mir so sehr her­bei­seh­ne, dass ich dafür viel­leicht sogar Geschäf­te mit dem Teu­fel machen wür­de? Wo sind unse­re Schwach­stel­len, mit denen ich der Ver­su­chung eine Angriffs­flä­che bie­te? Wo hän­ge ich an fal­schen Göt­tern: Geld, Macht und Anse­hen zum Beispiel und ver­nach­läs­si­ge dabei meine Beziehung zu Gott? Knapp 40 Tage liegen vor uns, in denen wir diesen Fragen nachgehen können. Nutzen wir sie. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unsern Herrn. Amen.

Matthias Ziemens, Propst

*Die kursiv gedruckte Passage orientiert sich am Artikel „Eine Schwäche der neuen USA“ von Dorothee Krings, Rheinische Post, 4.3.2025.