Osterpredigt 2022
Zwei Freunde sitzen zusammen und unterhalten sich. Der eine sagt: "Ich war im Urlaub in den Bergen. Das war überwältigend. Diese Welt ist so wunderschön – die Berge und auch das Meer, überhaupt die Natur: Dieser Planet ist einfach großartig."
Der andere widerspricht ihm: "Wenn du nur mal deine Augen richtig aufmachen würdest, dann könntest du so nicht mehr reden. Dieser Planet ist doch total verdreckt. Die Meere sind voller Schadstoffe. Und dann der Klimawandel: Überschwemmungen. Dürren, Stürme. Die Umwelt geht den Bach runter. Und das größte Raubtier ist der Mensch selbst."
Das will der Erste so nicht stehen lassen. "Natürlich sind die Menschen nicht perfekt", sagt er, "aber sie bringen doch fantastische Dinge hervor. Hast du dir jemals ein Bild von Rembrandt angeschaut oder eine Symphonie von Mozart gehört? Wunderschön ist das. Und auch die anderen kulturellen Leistungen können sich sehen lassen: wunderbare Bauwerke, die Literatur oder auch nur so etwas wie dieses Glas Wein hier!"
"Das ist ja schön und gut", gibt der Andere zu bedenken, "aber der Mensch erfindet auch Computerviren und die Atombombe. Und in der Ukraine ist Krieg, wie kannst du das ausblenden? Jeden Tag bringen irgendwo Menschen Menschen um.
„Aber was ist mit der Liebe?", sagte der Erste. "Ein Mensch, der liebt, wächst doch über sich selbst hinaus!" "Ach, Liebe wird überschätzt", meint der Zweite verbittert. "Es gibt so viele Scheidungen, und zerbrochene Beziehungen. Und selbst wenn die Paare zusammenbleiben, irgendwann kommt der Tod und reißt sie auseinander. Wer liebt, wird auch verletzt. Dieses Leben ist sinnlos und grausam!"
Diesen letzten Satz kann ich nicht so stehen lassen. Das Leben ist nicht sinnlos, auch wenn beide Stimmen dieses fiktiven Dialogs im Recht sind. Unsere Welt ist zwiespältig, es finden sich Licht und Schatten darin. Es kommt nur darauf an, welche Seite man wahrnimmt. Und das Schlimme ist, wir selbst sind ja auch ein Teil dieser Welt. Da gibt es Gutes und Böses auch in uns und längst nicht immer gewinnt die gute Seite. Und wir kommen aus dieser Nummer nicht raus. Selbst wenn wir an der Verbesserung dieser Welt mitarbeiten werden wir ihre Grundstruktur nicht verändern können. Selbst wenn wir daran arbeiten, uns selbst zu verbessern können wir unsere Grundstruktur nicht verändern, die dunklen Seiten unseres Wesens nicht ausschalten.
Wir brauchen Hoffnung. Wir brauchen Erlösung. Diese unvollkommene, zerrissene Welt, in der wir jetzt leben, ist nicht alles. Dieser vergängliche Leib, der mit zunehmendem Alter immer schwächer und unzuverlässiger wird, der irgendwann abstirbt und zu Erde zerfällt, ist nicht unsere ganze Zukunft. Es gibt mehr. Der Tod, dem keiner von uns entkommen kann, hat nicht das letzte Wort über uns, sondern Gott. Das ist die Botschaft dieser Nacht. Wir gehen nicht auf die Finsternis zu, sondern auf das Licht. Wir lösen uns nicht ins Nichts auf, sondern gehen zu ihm. Was uns dann erwartet, ist kaum in Worte zu fassen, weil all unser Denken und unsere Sprache von der Welt geprägt sind, in der wir leben.
Die Bibel versucht auf ihre Weise, Worte dafür zu finden. Dabei will sie uns deutlich machen: Dass Jesus von den Toten auferstanden ist, ist eben nicht das typische „happy end“ einer unwirklichen Geschichte, sondern das wunderbare Eingreifen Gottes, mit dem niemand mehr gerechnet hatte. Dass Jesus von den Toten auferweckt worden ist, ist eine herausfordernde Wahrheit, nicht einfach eine noch so ungewöhnliche Nachricht. Das Evangelium von Ostern ist kein Muss, kein Zwang, sondern eine Einladung, die uns herausfordert und fragt: „Glaubst Du,dass ich Dich und die ganze Welt aus einer guten Absicht heraus geschaffen habe, auch wenn so vieles in dieser Welt mit ihren großen und kleinen Katastrophen dagegen spricht? Glaubst Du, dass ich Dich aus den Ängsten des Lebens befreien kann? Glaubst Du, dass ich die Macht habe, auch Dein Leben durch den Tod hindurch zu erretten?“
So fragt der Auferstandene jede/jeden von uns an diesem Oesterfest. Die Botschaft der Auferstehung ist eine Zumutung für unseren Verstand, eine Provokation für unsere landläufigen Erfahrungen. Wir scheinen ja längst alles selber machen zu können, was uns der Glaube als unverfügbare Zukunft Gottes verheißt. Die Osterbotschaft passt nicht nur nicht zu unseren menschlichen Allmachtsfantasien, sie widersetzt sich ihnen geradezu. Und darum ist sie im Weg und verkommt vielerorts zum Osterhasen- und Frühlingsfest. Mit dem bloßen Verstand kommen wir nicht weiter, wenn wir uns das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens erschließen wollen. Ergreifen wir die ausgestreckte Hand des Erlösers! Die ostkirchliche Kunst hat diesen „Handgriff“ Gottes zu ihrem Osterbild gemacht: Kein aufsteigender Christus mit wehender Fahne, wie auf unseren westlichen Osterbildern zu sehen, sondern der Abstieg Jesu in das Reich des Todes ist da zu sehen. In seiner linken Hand hält er das Kreuz, mit seiner rechten Hand entreißt er den Adam und mit ihm alle Menschen dem Zugriff des Todes.
Jesus sagt: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“. (Mk 10, 42-44). Ostern widerspricht jeder Form von Gewalt und Krieg, weil Gott der Gott des Friedens ist. Er steht für das Leben und will, dass wir Wege finden, um friedlich miteinander zu leben.
Ostern beginnt mit den Worten: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Geht da hin, wo das Leben ist. Geht den Weg der Verständigung, des Mitgefühls und des Friedens, im Vertrauen auf Gott und in das Leben. Gott hat in der Auferweckung Jesu Christi den Tod des Todes in Gang gesetzt. Das ist unsere einzige Hoffnung für uns und erst recht für alle von Hunger und Krieg, Gewalt und Terror gepeinigten Menschen auf dieser Erde – ob sie es wissen oder nicht; ob sie es glauben oder nicht. Alle Gebrochenheit und alles Bruchstückhafte unseres Lebens und unserer Welt ist geborgen in der Zusage: „Der Herr ist auferstanden! Halleluja!"
Matthias Ziemens, Propst